Presse:
- Main-Echo - Mittwoch, 22. März 2006
Herzklopfen beim Heim-Spiel im Gewölbekeller
»Joschi Pevny Trio & Friend« zu Gast in Großostheim
Großostheim. Joschi Pevny hält nichts von selbstgefälligem Gefrickel auf der Gitarre und Sängerin Eva Wolf nennt sich rundheraus »ein Äisdemer Määdsche«. Wie Jazz - für manchen auf immerdar eine todernste Angelegenheit - und dieses unkomplizierte Auftreten zusammengehen, haben gut 80 Zuhörer am Samstag im Gewölbekeller der Alten Post erlebt. Es geht gut zusammen.
Die Heimstatt des Kulturvereins Kunst=Nöthig war der passende Ort für Eva Wolfs Rückkehr nach Großostheim. Über 20 Jahre war sie zwischen Worms, Guatemala und Aschaffenburg unterwegs, zum ersten Auftritt mit dem Joschi Pevny Trio kam sie mit »Herzklopfen«. Das war sympathisch, hätte es aber nicht gebraucht. Beim klassischen Heim-Spiel für »Eva« wollten selbst eingefleischte Aschaffenburger nicht fehlen.
»Klingt stellenweise wie Cassandra Wilson«, ließ ein Zuhörer nach nur zwei Stücken verlauten. Das dürfte Wolf geschmeichelt haben. Ist Wilson doch laut Time Magazin »Amerikas beste Sängerin«. Zumindest gilt sie als eine der populärsten und vielseitigsten Jazz- und Blues-Interpretinen.
Von großem Gehabe jedoch wollen die Hausmusiker der Schweinheimer Gutsschänke, wie gesagt, nichts wissen. Pevny, der für seine samtweich perlenden Gitarrentöne bekannt ist und Orchesterarrangements dank seiner Fingerfertigkeit eben mal alleine spielt, wirkte unauffällig aus dem Hintergrund, ließ Eva Wolf machen.
Vom Understatement ging sie flott zum Unanständigen über. »Love for Sale«, die Interpretation des Cole-Porter-Stücks war nur ein Beispiel dafür, wie sich die Musiker um Pevny vor Jazz-Größen verbeugen, um sie gleichzeitig durch Kombination mit eigenen Elementen neu zu entdecken. Bei »Shiny Stockings«, zu dem Ella Fitzgerald den Text geschrieben hat, lieferte sich Eva Wolf mit der Stimme als Rhythmusinstrument eine Mischung aus Wettkampf und Dialog mit Peter Roses gefühlvollem Trompetenspiel. Das machte die Zuhörer in den Sitzreihen ihr etwas eingezwängtes Dasein schnell vergessen. Wer dann noch hörte, dass Peter Rose Autodidakt ist, konnte nicht umhin, sich dem Verneigungsreigen gleich anzuschließen.
Zwischenapplaus heimste immer wieder Werner Wienand am Kontrabass ein, der als »Friend« das Trio ergänzte. Seine Soli waren auch ein echter Hingucker. Wenn Wienand seinen Bass innig umarmte und konzentriert dem Notenblatt immer näher rückte, sorgte das bei manchem Zuhörer für anerkennendes Schmunzeln.
Bei »Ain't Misbehavin'«, dem Klassiker von Fats Waller, zog Joschi Pevny dann doch alle Blicke auf sich und seine Gitarre. »Der Mann ersetzt eine komplette Band«, so Eva Wolf, die dann vergebens allen Charme spielen ließ, um das Publikum bei »Cheak to Cheak« zum Steppen zu bewegen. Dafür nahm ein Zuhörer bei »I'm in heaven« spontan seine Partnerin fest in den Arm. Die Leichtigkeit Verliebter, die im siebten Himmel schweben, erfüllte trotz des massiven Gewölbes einen Moment lang den Raum.
Ein bisschen Blues, ein wenig Bossa Nova - das Pevny Trio hatte einen gut verdaulichen Mix ausgesucht, den auch jene vertragen konnten, die das vermeintlich schwierige Jazz-Genre nicht von Geburt an verinnerlicht haben. Mit Charlie Parkers »My old flame« hatte das Ensemble auf jeden Fall eine würdige Zugabe gewählt.
» (...)getting to be a habit with me« - Jazz im Großostheimer Gewölbekeller könnte bald zur schönen Gewohnheit werden.
Sonja Maurer de Aguirre
- Main-Echo - Dienstag, 7. Februar 2006
Gemächlich im Wüstenwind
Alexander Finkel erzählt »Der Alchimist« in Großostheim
Großostheim. Alexander Finkel hat keine Eile. Gemächlich tritt er hinter dem Vorhang hervor, erklimmt mit einem entschlossenen Schritt die Bühne, barfuß. In seinem Kaftan, Weiß-Gold, und mit dem Fez auf dem Kopf, wirkt er wie ein Mann der Wüste. Männer der Wüste haben keine Eile.
Das ist das Tempo, das am Samstagabend die folgenden zwei Stunden beim Erzähltheater »Der Alchimist« bestimmt. Ein Teppich, ein bedrucktes Tuch mit einer strahlenden Sonne, ein Podest und ein Teegeschirr genügen Finkel, um aus dem kargen Konzertsaal der Musikschule das gemütliche Innere eines Beduinenzeltes zu machen. Entspannt rückt er Teeglas und Silberkanne zurecht, stützt die Hände auf die Schenkel, nimmt Blickkontakt auf zu seinen Zuhörern.
»Es gibt nur Entweder-oder, kein Zwischendurch«, sagt er und schon sind die rund 120 Besucher der Großostheimer Musikschule mittendrin in der Geschichte des andalusischen Hirten Santiago, der einem wiederkehrenden Traum folgt und auf der Suche nach seinem Schatz auch innere Reichtümer entdeckt.
Finkel hat das Buch des brasilianischen Autors Paulo Coelho bearbeitet, gekürzt, Passagen neu verbunden und von Handlung entrümpelt, die es nicht braucht, um die Botschaft zu verstehen: »Folge deinen Träumen«, lautet sie und der »Narrador«, wie sich Finkel selber nennt, schickt seine Zuhörer auf diesen Weg, ohne Eile. Die zentralen Lebensweisheiten aus Coelhos Roman stellt er dabei geziehlt heraus.
Dem jungen Hirten, dem alten König, dem Alchimisten und auch der schicksalsergebenen Fatima haucht er fast allein mit der Kraft seiner Stimme Leben ein. Mal zögerlich, mal treibend spricht er, pointiert dosiert, lockert auf mit amüsantem Akzent und nimmt sich immer wieder Zeit für Pausen.
Die Geschichte von Liebe, Hoffnung, Glaube, Angst und Zweifel gewinnt Gestalt, wenn Finkel sich vorbeugt oder mit einer unerwartet raschen Bewegung plötzlich ganz und gar auf seinem Podest kauert. Mit den Fingern zeichnet er den Schriftzug eines arabischen Wortes in der Luft nach. »Maktub - es steht geschrieben«, sagt er und dabei stehen die einzelnen Buchstaben förmlich im Raum.
Ein Lidaufschlag, ein Kopfnicken, eine angedeutete Verneigung - Santiagos Reise vom spanischen Tarifa über die Oase El Fayum bis zu den Pyramiden Ägyptens nehmen die Zuhörer so gefangen, dass es ganz still wird im Saal. Kaum ein Husten, Räuspern stört Finkels Erzählungen, ganz sachte hat sich der Wüstenwind durch eine Türritze hineingeschlichen.
Die ein oder andere Betonung hätte mancher »Alchimist«-Kenner vielleicht anders gesetzt, einen nachdenklichen Santiago weniger altklug wirken lassen, dem Angsterfüllten mehr Verzweiflung anheim gegeben und seine Liebeserklärung an Fatima nicht als Rechtfertigung intoniert. Dafür aber gelang es Finkel fast durchgehend, sich selbst soweit zurückzunehmen, dass er es jedem Zuhörer ermöglichte, jene Passagen aus dem Buch herauszuhören, die er für sich selbst heraushören wollte. Selbst das einzige anwesende Kind des Abends verstand der erfahrene Märchenerzähler durch Blickkontakt immer wieder einzubinden.
Wer nicht gleich am Samstagabend seinen Schatz in der Musikschule gefunden hat, der durfte zumindest einen Lichtmoment erleben, und das allein hat sich - so eine alte Alchimisten-Weisheit - bereits gelohnt.
Auf Alexander Finkels Erzählung »Der kleine Prinz«, die er im Sommer im Auftrag von »Kunst=Nöthig« in Großostheim präsentieren will, darf man deshalb schon jetzt gespannt sein.
Sonja Maurer de Aguirre
- Main-Echo - Montag, 4. Juli 2004
Musikalische Zeitreise durch zwölf Jahrhunderte
»Vogelfrey und unvuortzaget« in der Musikschule
Großostheim. Die Stuhlreihen im romantischen Innenhof des Großostheimer Nöthigsguts waren gestellt, die Stände für den Getränkeverkauf schon aufgebaut. Irgendwann im Laufe des Samstagsnachmittags waren die sieben Musiker des Ensembles aus dem Raum Aschaffenburg und Obernburg dann plötzlich gar nicht mehr so »Vogelfrey und unvuortzaget«, wie das ihr Name verspricht: Die drohenden Regenwolken nahmen ihnen den Mut für ein Konzert unter freiem Himmel.
Doch auch im stickig-heißen Saal der Musikschule entfalteten die etwas anderen Klänge ihren ganz besonderen Reiz. Sonst nicht gehörte Musikinstrumente wie Drehleier und Krummhorn nahmen die Zuhörer mit auf eine Zeitreise vom neunten Jahrhundert bis in die Jetztzeit - von den »Merseburger Zaubersprüchen« bis zu den »Schwarz bemalten Steinen«, dem bekannten »Paint It Black« der Rolling Stones.
Es war ein entspannender Abend, durch den Frowin Hafner mit launigen Ansagen führte. Ein Abend, der einfach Spaß machte mit Stücken wie dem flotten russischen Traditional »Troika«, der lustigen »Pfeifferey«, mit Richard Löwenherz´ Freiheitssehnsucht »Ja nuns hons pris«, die dieser in seiner Kerkerhaft geschrieben hatte.
Und natürlich mit dem schier endlosen »King Arthur´s Liver«, mit dem die Musiker die Zuhörer aus dem Saal begleiteten: »Dieses Lied hört nie auf«, sagte Frowin Hafner, deshalb verabschieden wir uns schon jetzt!«
Mal nachschauen: Vielleicht spielen »Vogelfrey und unvuortzaget« ja immer noch...
Wolfgang Dreikorn
- Presse-Text - Dienstag, 11. Mai 2004
Poststelle in Großostheim wiedereröffnet.
Historisches Gewölbe mit irischer Musik zu neuem Leben erweckt.
Großostheim. Es ist tatsächlich etwas Kunst nötig, will man das lokale Kulturgeschehen bereichern. Wieder einmal mehr stellte der Verein Kunst=Nöthig unter Beweis, dass er dies beherrscht. Mit Celtic Chakra holte er eine der besten irischen Bands unserer Umgebung in ein sehr passendes Ambiente.
Im historischen Gewölbekeller aus dem 18. Jahrhundert, ausverkauft und bis in den letzten Winkel besetzt, ging am Samstag Abend so richtig die Post ab.
Die mit zwei Iren und zwei Deutschen hervorragend besetzte Band, ließ in kürzester Zeit den Rhythmus und die Leidenschaft der irischen Musik auf das Publikum überspringen. In einer geschickten Folge wurden eigene Kompositionen und Arrangements traditioneller irischer und keltischer Musik dargeboten. Die überwiegenden schnellen Stücke wie Jigs und Reels wurden in angenehmer Folge mit beschaulicheren Titeln abgewechselt.
So gelang eine mitreisende Gratwanderung die die Facetten der irischen Seele wiederspiegelte, von überbrodelnder Lebensfreude bis hin zu tiefer Melancholie.
Mit Fiddle, Bodhran (irische Trommel), Gitarre, Banjo Bouzuki und Klarinette zauberten die vier Musiker einen Sound, der dem Publikum unmittelbar unter die Haut ging und es auch auf engstem Raum begeistert dem ansteckenden Rhythmus folgen ließ.
So war es auch nicht verwunderlich, dass die Band erst nach mehreren Zugaben von der Bühne durfte. Alles in allem ein mitreisender und angenehmer Abend, der in jeder Beziehung Lust auf mehr macht - und genau das haben Band, Zuschauer und Veranstalter gemeinsam bekräftigt. Und so darf man gespannt sein, was sich der rührige Verein für weitere Veranstaltungen noch alles einfallen lässt.
- Main-Echo - Mittwoch, 19. Novmber 2003 - Lokales
Zwischen Caféhaus und Keltenfeuer
Mit La Serena auf musikalischem Streifzug in St. Peter und Paul
Großostheim. Respekt vor klassischer Musik haben die Mitglieder des Ensembles La Serena keinen. Sie spielen sie einfach, locker und heiter, wie ihr Name sagt, und vermischen sie ganz ungeniert mit Jazz und Pop. Auch wer normalerweise nicht viel anfangen kann mit Bach, Händel und Vivaldi, hätte auf den Geschmack der traditionellen E-Musik kommen können am Sonntagabend in der voll besetzten Kirche St. Peter und Paul.
Geige, Querflöte, Oboe, Cello, Kontrabass, klassische Gitarre und Vibraphon: Auch damit lässt sich ein Konzertsaal - wie das dafür sehr gut geeignete Kirchenschiff - zum Swingen bringen, zeigten die vielseitigen Musiker aus dem Rhein-Main-Gebiet. Isabelle Bodenseh zum Beispiel entlockte ihrer Querflöte ein Herz zerreißendes Röhren und Seufzen und verwandelte damit Bachs brave Vorlage in abgrundtiefen Blues bei der "Bourree & Badinerie".
Schlagzeuger Detlef Biedermann gab den Stücken einen starken, pulsierenden rhythmischen Untergrund, aus dem sie Leben schöpften, und übernahm am Xylophon auch schon mal die melodische Leitung. Doch manchmal durfte auch Jörg Mühlhaus am Kontrabass Führungsqualitäten zeigen wie beim samtig weichen "Little Train" nach Heitor Villa-Lobos.
Lateinamerika ist das offensichtliche Lieblingsgebiet der Formation. Glatt und nonchalant, wie Caféhausmusik, aber nie oberflächlich, entfaltete sich das Schmachten, die große Pose des Tango in "Milonga".
Begeisterungsstürme gab es für eine weitere Spezialität der sieben Grenzgänger zwischen Klassik und Unterhaltung: Folklore aus Schottland und Irland. Der "keltische Feuertanz", einer der Songs auf der neuen CD "Hot Coffee", jagte nicht wenigen Zuhörern wohlige Gänsehaut über den Rücken - nicht nur weil Bodenseh zum Auftakt in der "Ocean Drum" leise die Metallkügelchen rieseln ließ.
Irische Musik kann mitreißend klingen auf klassischen Instrumenten, vor allem, wenn sie sacht hintereinander einsetzen: Jürgen Volkmar gab an der Gitarre zusammen mit Biedermann am Vibraphon den Rhythmus vor, dann erzählte Clemens Duchardt an der Oboe eine Geschichte ohne Worte von Sehnsucht und Lebensfreude. Der sich dazu gesellende eindringliche Gesang der Geige (Hilde Singer-Biedermann) wurde umworben vom Cello (Tilmann Jerrentrup) und vom Bass.
Auch Pop-Balladen lassen sich für Kammerorchester bearbeiten. La Serena hat aus Stings "Fragile" ein ganz neues Klangerlebnis gemacht, romantisch zum dahin Schmelzen. Kein Wunder, dass die sieben Musik-Alchimisten erst nach zwei ordentlichen Zugaben heim ins ferne Hessen entlassen wurden: "Venus" von Shocking Blue, unwiderstehlich wiederbelebt, und Angelo Branduardis unsterblich munterer "Wasserfloh", besser bekannt als "la Pulce d'Aqua".
- Melanie Pollinger -
- Main-Echo - Dientsag, 22. September 2003 - Lokales
Mit dem Verstand nicht Fassbares zeigen
Großes Kunst- und Kulturwochenende am Grenzweg zwischen Hessen und Bayern
Großostheim-Ringheim. Im Wald sind Bäume und dazwischen -keine Zwischenräume, sondern Rätsel. Zumindest war das so am Wochenende im Wald bei Ringheim, wo ein langer Graben die bayerisch-hessische Grenze markiert. Scharen von Grenzgängern, viele mit dem Fahrrad, waren der Einladung des Großostheimer Vereins Kunst=Nöthig gefolgt. Sie sahen sich die Werke von 18 Künstlern aus dem Rhein-Main-Gebiet an, stärkten sich an der improvisierten Waldschänke und hörten am Samstag Musik aus dem Mittelalter.
Auf dem Weg, den Michaela Truka aus Frankfurt mit gezeichneten Fabel-Tieren auf weißem Papier markiert hatte, wuselten jede Menge Kinder herum. Die meisten steuerten am Samstag zielstrebig zur Freilichtbühne, wo das Frankfurter Galli-Theater das Märchen »Hänsel und Gretel« clownesk und doch zeitgemäß spielte. Am Sonntag ging es zum Töpfer-Workshop mit Diana van der Lucht und zum Nistkasten-Bauen mit Klaus-Jürgen Guth aus Hanau. Der Erlös der Veranstaltung ist fürs Aschaffenburger Waisenhaus bestimmt.
Drachenlampe ?
Die Ausstellungsstücke der Erwachsenen waren für die Kleinen weniger interessant. Doch es gab auch Kinder, die am liebsten etwas eingepackt hätten: die Drachenlampe aus Kupfer, die der Goldbacher Steinbildhauer Peter Imgrund über den Weg gehängt hatte, oder die Wichtel zwischen den dornenförmigen Spitzen aus grün glasiertem Ton, die Diana van der Lucht, Erzieherin in Ringheim, zwischen dem Moos versteckt hatte. Und einige der Kinder stellten die Fragen, die der Ringheimer Künstler Detlef Maurer, Initiator der Ausstellung, gern auch von den Großen gehört hätte. »Was bewachen die Wächter?«, wollte ein Junge wissen, während die erwachsene Begleiterin nach dem Preis der aparten Holzarbeiten des Glattbachers Manfred Noll fragte.
? und Grenzwächter
Die Wächter bewachten die Grenze, war doch klar, ebenso wie die Brücke aus Seilen und handgeschöpftem zarten Büttenpapier von Ellen Hug aus Freigericht den Grenzgraben überspannen und das von Walter Kempf aus Alzenau weiß-blau-rot bemalte Fahrrad hoch in der Luft für
»Bewegung über den Grenzen« sorgen sollte. Josef Speth aus Schneeberg ließ einen kleinen weißen »Grenzgänger« aus Ton auf einem verwitterten Balken balancieren. Beate Thierling aus Hanau legte »Wasser« in den Graben: zwei blau bemalte Leinwände, straff gespannt im Holzrahmen. Volkmar Hundhausen aus Linsengericht-Eidengesäß wollte zum Nachdenken über Vorurteile anregen mit seiner »Schein-Installation«, die einen Durchgang zwischen Bayern und Hessen vorgaukelte.
Einfach schön im sonnig-warmen Wald waren die über 70 Exponate: Große hölzerne Säulen des Sonnentempels von Jan Curik aus Mainhausen, die von Konrad Franz aus Hausen sachte mit der Motorsäge bearbeiteten »Ikarus«-Flügel, eine riesige Kette aus hölzernen Gliedern, aus einem Stück geschnitzt von Heribert Heeg aus Glattbach und die langen Beine der »Gazellenfrauen« von Dr. Helmut Brendel aus Amorbach.
»Wasser im Graben«
Viele verschlüsselten Geheimnisse bargen die Arrangements, die der Großostheimer Gerald Mierswa aus Fundstücken von der Vulkaninsel Lanzarote gefertigt hatte, daneben Ölgemälde von Christian Lang aus Chemnitz, trotz ihrer Abstraktheit voller Mystik. Das mit dem Verstand nicht völlig Fassbare ausdrücken und die Betrachter auffordern: »Denkt bitte selbst nach!« Maurer hat dieses dem Wochenende zu Grunde liegende Programm immer wieder anders aufgegriffen in seinen Beiträgen.
Bitte selbst nachdenken
Maurer war es, der die hellblau lackierte lange »Himmelsleiter« zerbrochen und die Einzelteile an den Wegrand gelegt hat. Auf einem Zettel erklärte er, warum: Im fernöstlichen Shintoismus (Shin heißt Geist, To heißt Weg) sei die Rede von einer zusammengebrochenen Leiter. Was tun, um sich dennoch dem Himmel zu nähern? Das war nur eine der vielen »Anregungen zum Nachdenken über Grenzen«, wofür der Großostheimer Bürgermeister Hans Klug den Verein Kunst=Nöthig in seiner Eröffnungsrede gelobt hatte.
- Melanie Pollinger -
- Presse-Mitteilung vom 19.08.2003:
Am 20./21. September 2003 veranstaltet der im April 2002 in Großostheim gegründete Verein Kunst = Nöthig im Bachgau e. V. unter dem Titel
"Im Wald sind BÄUME und dazwischen ZWISCHENRÄUME"
ein Kunst- und Kulturwochenende. Veranstaltungsort ist der bayrisch/hessische Grenzweg im Wald zwischen Ringheim und Schaafheim.
An beiden Tagen bietet der Verein, für die Besucher kostenlos, eine Kunstausstellung und ein kulturelles Begleitprogramm an. Als Schirmherren konnten die Bürgermeister von Großostheim und Schaafheim, Hr. Hans Klug und Hr. Reinhold Hehmann gewonnen werden, Gastredner ist Hr. Dr. Gerrit Himmelsbach vom archäologischen Spessartprojekt.
Der Verein Kunst = Nöthig e. V. wurde im April 2002 gegründet und zählt derzeit 100 Mitglieder. Anliegen der Gründungsmitglieder war und ist, Kunst und Kultur auch im ländlichen Raum zu zeigen.
Ort der Veranstaltung ist der bayrisch/hessische Grenzweg im Wald zwischen Ringheim und Schaafheim. Dort ist noch ein Teil der alten Landwehr zu sehen, deren Entstehung zeitlich mit dem Erwerb des Bachgaus durch Mainz zusammenhängen dürfte (ca. 14. Jahrhundert). Landesherren waren bis dahin die Grafen von Hanau. Eine wesentliche Aufgabe der Landwehr war die Regelung des Grenzverkehrs; der Handelsverkehr beschränkte sich daher auf nur wenige Durchlässe.
Im Wald erwartet die Besucher eine besondere Atmosphäre. Die Farben des Waldes und seine Stille beruhigen, die Betrachter werden wahrnehmungsfähiger, sie atmen gute Luft und angenehme Düfte. Während ihres Rundgangs können sie dem Vogelgezwitscher lauschen und den Wind in den Bäumen spüren. Es gibt keine räumliche Einschränkung, genügend Platz und Weite, nur der Himmel begrenzt nach oben.
Die Ausstellung "Kunst am Grenzweg" zeigt Werke von 18 Künstlern aus dem Raum Frankfurt, Hanau, Aschaffenburg, Miltenberg und aus dem Bachgau. Skulpturen und Objekte aus Holz, Stein, Ton und Metall, Malerei, Installationen und Mix Media bieten dem Besucher eine große Bandbreite künstlerischen Schaffens. Theater, Musik, Lesungen und Workshops runden die Veranstaltung ab.
Kunst am Grenzweg ist auch ein Versuch, die Doppeldeutigkeit von Kunst als Grenzweg sichtbar zu machen, die Natur als Schöpfung in Erinnerung zu rufen und die Kunst als schöpferischen Akt in Beziehung zur Natur zu verdeutlichen.
Die Begegnung an der Landesgrenze kann aber auch jeden dazu anregen, sich Gedanken über Grenzen in der heutigen Zeit zu machen.
- Main-Echo - Dientsag, 24. Juni 2003 - Lokales
Ohne die Arbeit von nach Kunst in der Kommune trachtenden Vereinen läge die Kulturpolitik in Gemeinden brach
Den überbordenden Applaus für die Aufführung des Chawwerusch-Theaters am Sonntagabend im Großostheimer Nöthigsgut durfte der veranstaltende Verein Kunst = Nöthig durchaus auch für sich in Anspruch nehmen: Eineinhalb Jahre nach seiner Gründung gibt der Verein der Kulturarbeit im bayerischen Teil des Bachgaus bereits ein eigenes Gesicht.
Dabei geben sich die Vereinsmitglieder bescheiden: "Wir sind noch im Wachsen", sagt beispielsweise Artur Schnatz, der am Sonntag für die Moderation verantwortlich zeichnete: Schnatz ist einer der etwa 20 Aktiven im 100 Mitglieder zählenden Verein, der pro Jahr vier bis sechs Veranstaltungen in Großostheim auf die Bühne bringt - und so die Ergänzung auf bayerischer Seite zur Kulturinitiative Alte Molkerei im benachbarten hessischen Schaafheim bildet.
Kunst = Nöthig hat sich zu einem Beispiel für kommunale Kulturarbeit entwickelt, die sich bei knapp werdenden Finanzen der Gemeinde im Raum Aschaffenburg in immer stärkerem Maße auf privates Engagement stützt. Wegweisend in dieser Hinsicht ist im Landkreis Aschaffenburg Kleinostheim, wo sich bereits vor Jahren mit dem Seniorenzentrum St. Vinzenz von Paul und dem Arbeitskreis Kleinostheimer Kultur (AKKU) gleich zwei Initiativen entwickelt haben - wobei das Seniorenzentrum mit einem regelmäßigen und sehr anspruchsvollen Programm sehr stark sponsorenunterstützt arbeitet. Kleinostheim ist ein Sonderfall: Die vergleichsweise finanzkräftige Industriegemeinde leistet sich - wie Mainaschaff und das auf Ausstellungen spezialisierte Glattbach - ein eigenes Kulturprogramm. Ansonsten halten es die meisten Gemeinden um die Stadt Aschaffenburg mit der Fachliteratur zum Thema "Kommunalpolitik": Sie findet nicht statt, weder in Standardwerken der Bundeszentrale für politische Bildung noch in Veröffentlichungen von Fachverlagen. Allenfalls alternative Verfechter kommunaler Politik räumen dem Kultur-Aspekt Platz ein: wobei in dem auch schon aus den 80er Jahren stammenden "Handbuch für alternative Kommunalpolitik" Kulturengagement über Privatinitiativen als "kaum sinnvoll denkbar" eingestuft werden. Identität finden Der vor wenigen Wochen in Hösbach gegründete Kulturverein - der zweite nach der Arbeitsgemeinschaft Altes Rathaus im Ortsteil Rottenberg - beweist das Gegenteil. Debattierten im Mai die Hösbacher Gemeinderäte noch die Öde des Marktplatzes, verwandelte der junge Verein vorigen Samstag das Ortszentrum oberhalb der Kirche in eine Freilichtbühne, indem er den Weg bereitete für eine Aufführung der "Zauberflöte" mit immerhin 18 Solisten und 30-köpfigem Chor: für den Verein eine gelungene Premierenveranstaltung, für die Marktgemeinde eine kulturelle Bereicherung. "Es ist ja kulturmäßig nicht all zu viel los", verweist Artur Schnatz auf das Bestreben nach einer eigenständigen Kulturpolitik von Bürgern in Kommunen - vor allem jener zwischen Mitte 30 und Anfang 50, die ihre kulturelle Identität zwischen HipHop und Blasmusik finden müssen. Kunst = Nöthig ist nach der Gründung am 12. April als Verein inzwischen so weit gediehen, dass über die reine Veranstaltungsarbeit hinaus gedacht werden kann: Es gibt eine Theatergruppe, die allerdings noch unregelmäßig zusammen kommt ? ? und möglicherweise das Vereinsprogramm in absehbarer Zeit prägen kann. Kunst = Nöthig mangelt es wie vielen Kulturinitiativen an geeigneten Präsentationen, vom Großostheimer Verein sucht vor allem Bettina Müller deshalb immer wieder den Kontakt zu Etablierten in der Zunft, beispielsweise zu Klaus Jakob: Den Geschäftsführer des Kleinostheimer Hauses St. Vinzenz von Paul schätzt Bettina Müller als Berater und verläßlichen Ansprechpartner bei Problemen. Gemeinsamkeiten suchen Auf regionaler Ebene ist diese Zusammenarbeit für kommunale Kultur eher die Ausnahme: Bislang gibt es zwischen den Initiativen im Raum Aschaffenburg kein Netz gegenseitiger Unterstützung oder eine Absprache zu Genreschwerpunkten oder Tourneeverläufen. Bettina Müllers Versuch einer Kontaktaufnahme zu einer Initiative in Groß-Umstadt scheiterte, das war?s denn auch schon - wobei die Großostheimerin den Abstimmungsbedarf zwischen den Vereinen zu relativieren versucht: "Unsere Besucherklientel setzt sich ganz stark aus Stammpublikum zusammen", so komme kein Verein dem anderen ins Gehege. Das bedeutet für Kunst = Nöthig gleichzeitig zuvorderst Zuschauer aus der Marktgemeinde sowie nach dem letztjährigen Aufführung von Chawwerusch Besucher aus den umliegenden Gemeinden, die am Sonntag erneut kamen. Bei einer Konkurrenz wie dem gleichzeitigen Volksfest in Aschaffenburg oder den Burgfestspielen in Alzenau werden Veranstaltungen wie die "Zauberflöte" schnell zum Rechenexempel: im vergangenen Jahr 350 Zuschauer, diesmal 200. Da bedarf es tatsächlich des persönlichen Engagement im Kulturverein, um auch Künstlern den Auftritt zum Genuss werden zu lassen: Kunst = Nöthig hat mit dem Herxheimer Chawwerusch vergleichsweise schnell familiäre Bande geknüpft, in Aussicht haben die Großostheimer deshalb für die Freilichtaufführung im Sommer kommenden Jahres einen attraktiven, weil lukrativen Samstagabend-Termin. Im Gegenzug wissen die Chawwerusch-Schauspieler, dass sie im Bachgau den Zauber einer privaten Kulturinitiative genießen: Nach der Aufführung am Sonntagabend stellte ein Vereinsmitglied den Darstellern spontan sein Gästezimmer zur Verfügung.
-str-